Lass uns „kuscheln“!

Eine Sache, die mich tierisch nervt, sind falsch gesetzte Anführungszeichen. Es ist, als wäre der Strichbedarf vom Schreiberling nicht gedeckt, weil er sich bereits zurückhalten muss, keine unsinnigen Apostrophe zu setzen. Anführungszeichen werden benutzt, wenn der Autor sich von der Aussage seines Textes distanzieren will, wahrscheinlich weil er sich nicht traut, zu seinem Text zu stehen.
Anführungszeichen benutzt man, um etwas anzuführen.
Nicht, um ein Wort zu „betonen“ (← falsch). Und auch nicht, um ein „Neuwort“ (← falsch) zu markieren. Vertraut eurem Leser. Er weiß nämlich in den meisten Fällen, wann welches Wort betont werden muss. Er weiß ebenfalls Bescheid, dass der Autor kreativ ist und neue Wörter und Wendungen erfindet.

Einen Moment später lächelte sie nicht mehr.
Innerhalb eines Wimpernschlags war ihr Lächeln zerbrochen.

Welcher Satz schöner ist, hängt vom Genre und vom Geschmack des Lesers ab. Aber das ist hier nicht Gegenstand. Stünde Wimpernschlag in Anführungszeichen, würde der Reiz dieses Satzes verpuffen. Liebe Autoren, steht zu euren Worten!

Anführungsstriche wirken nämlich ironisch und der Leser nimmt den Begriff weniger ernst.



§89 Mit Anführungszeichen schließt man etwas wörtlich Wiedergegebenes ein.
Wie man Anführungsstriche, Punkt und Komma in der direkten Rede benutzt, haben wir bereits geklärt. Anführungsstriche werden im wissenschaftlichen Bereich für Zitate und bibliografische Angaben verwendet. Da wir aber Romane schreiben, brauchen wir das nicht. Also bleibt nur noch die Ironie, die nach §94 mit Anführungszeichen markiert werden kann. Anführungszeichen wirken oft ironisch. Aber Ironie extra mit Anführungszeichen hervorzuheben, zerstört den Witz. Es ist so, als würde man dem Leser unter die Nase reiben: „Schaut her! Ich benutze Ironie!“
In Chats oder aus sozialen Plattformen, wo man sich gern missversteht und sich gegenseitig zerreißt, empfehle ich Smileys und Anführungsstriche. Aber so wie man im Roman (außer in SMS oder Mails) keine Smileys benutzt, sollte man Anführungszeichen sparsam verwenden. Anführungszeichen als Markierung für Ironie wirkt wie die Erläuterung eines Witzes. Entweder man versteht den Witz oder nicht. Keiner lacht, wenn man den Witz im Nachhinein erklärt. Vertraut dem Leser, dass er euren Witz, eure Ironie versteht. 
Das Gleiche gilt für Metaphern. Metaphern sollen nicht in Anführungszeichen stehen, da sie als rhetorisches Mittel den Sinn verlieren würden.

Wie viele der Anführungszeichen sind hier notwendig?
Seit dreißig Minuten wartete Lina unter dem knorrigen Birnbaum. Die Sonne schien durch das Blätterdach und „malte“ förmlich ein scheckiges Muster auf den Kiesboden. Die Idylle konnten das „Feuer“ in Linas Innerem nicht bändigen. Sie „kochte“ regelrecht vor Wut.
Endlich kam Daniel geradezu „angehechelt“. Lina sah auf und strafte ihn mit einem Blick, der beinahe so „giftig wie Batrachotoxin“ war. „Hallo ‚Schatz‘“, säuselte sie scheinbar.
Daniel zuckte zusammen. „Ich war noch bei … ‚Aldi‘.“
„Und weiter?“
„Nichts ‚weiter‘. Es gibt kein ‚Weiter‘.“
Nur die Anführungszeichen in der wörtlichen Rede sind obligatorisch, auch wenn die Abtönungspartikel deren Berechtigung vortäuschen. Man könnte höchstens noch überlegen, ob man das Wort Schatz betont, indem man es kursiv setzt – aber auch dies ist nicht notwendig. 

Seit dreißig Minuten wartete Lina unter dem knorrigen Birnbaum. Die Sonne schien durch das Blätterdach und malte ein scheckiges Muster auf den Kiesboden. Die Idylle konnten das Feuer in Linas Innerem nicht bändigen. Sie kochte vor Wut.
Endlich kam Daniel angehechelt. Lina sah auf und strafte ihn mit einem Blick, der giftiger als Batrachotoxin war. „Hallo Schatz“, säuselte sie.
Daniel zuckte zusammen. „D-da war ein … Unfall.“
„Und weiter?“
„Nichts weiter. Es gibt kein weiter“.
Nicht einverstanden? Bei weiter und Aldi müssten Strichchen hinkommen? Vor allem bei dem Supermarkt, weil es ein Name ist? Dann müssten im folgenden (falschen) Beispiel ebenfalls Anführungsstriche stehen. 
„Und Espresso?“, fragte Professor „Mustermann“.
„Heute gibt es keinen ‚Espresso‘.“
In missverständlichen Fällen ist es besser, Eigennamen mit Anführungszeichen oder Kursivschreibung auszuzeichen. Aldi oder Professor Mustermann sind eindeutig. In den folgenden Beispielen ist es jedoch nicht eindeutig, ob es sich um eine Zeitschrift, ein Café oder um Gegenstände handelt.
Er sah den Spiegel auf dem Couchtisch.
Er sah den „Spiegel“ auf dem Couchtisch.
Wir gehen nachher ins Bücherregal.
Wir gehen nachher ins „Bücherregal“.

Da ich ein Fan von Typografie bin, gibt es am Ende noch ein paar Zeichen.
Anführungszeichen
„…“
einfache Anführungszeichen
‚…‘
Chevrons (umgekehrte Guillemets)
»…«
Einfache Chevrons
›…‹
Englisch
“… ”
Französisch (Guillemets)
«…»
Doppelakut
˝…˝
Doppeltes Kodierungszeichen
"…"
Echtes Zollzeichen
ʺʺ
Zwei Größer-als- und Kleiner-als-Zeichen
>>…<<