Vickie analysiert ihre Dialoge

Ich habe ja versprochen, dass ich meine Arbeitsweisen vorstellen. Voilà, hier ist ein Beitrag über die Analyse bei Dialogen. Es geht hierbei um das Verhältnis zwischen wörtlicher Rede, Handlung und Information. Diese Art der Bearbeitung mache ich nur, wenn mir partout keine kreative Idee kommt. In einer Schreibblockade analysiere und bearbeite ich – das ist reines Handwerk und das geht immer.

Als Ausgangstext habe ich eine unausgereifte Szene der Rohfassung. Manchmal sind es sogar auf dem Handy schnell runtergetippte Texte, wenn ich in der U-Bahn einen Geistesblitz habe und nicht in meine Diktiergerät-App sprechen möchte. Ich spreche nämlich vollständige Fließtexte auf mein Handy, die in etwa folgend lauten: „Als ich das letzte Mal einen Schwanzvergleich gemacht habe …“



Heute nehme ich einen Text von meiner lieben P., die eine spontane Idee mit Figuren aus ihrem und meinen Roman hatte. Ich tu mal so, als wäre dieser Dialog meinem eigenen Geiste entsprungen.

Dylan und Kay standen mit den anderen Jungs unter der Dusche.
»Ey ich schwör dir, der ist länger!«, behauptete Dylan.
»Hör doch auf mit dem Quatsch!«, meinte Kay. »Ist doch scheißegal.«
Dylan schaumierte sich die Haare. »Du bist doch nur neidisch, weil meiner länger ist als deiner.«
Kay schrubbte sich den Bauch. »Ach wirklich? Denkst du?«
»Das ist offensichtlich, Kay. Schau doch mal genau hin!«
»Jungs, muss das sein?« Eugene verdrehte die Augen. »Das ist lächerlich.«
»Gene, halt die Klappe! Das hier ist eine ernste Angelegenheit!«, gab Dylan zurück.
»Als ich das letzte Mal einen Schwanzvergleich gemacht habe, war ich fünfzehn Jahre alt.« Eugene schüttelte den Kopf. »Ihr seid doch aus dem Alter raus ...«
»Stimmt, einen Schwanzvergleich brauchen wir nicht.« Dylan grinste unheilvoll. »Da würde man eh nur sehen, dass ich den Längeren habe.«
Kay packte Eugene an der Schulter und sah ihn entschlossen an. »Eugene, du weißt was zu tun ist.«
Eugene seufzte total genervt und tigerte im Handtuch los.

Der Dialog mag zwar spannend sein, aber der gesamte Text ist trotzdem nicht gut. Um herauszufinden, woran es hakt, trenne ich die Dialoge aus der Handlung heraus.

Dialog
»Ey ich schwör dir, der ist länger!«
»Hör doch auf mit dem Quatsch! Ist doch scheißegal.«
»Du bist doch nur neidisch, weil meiner länger ist als deiner.«
»Ach wirklich? Denkst du?«
»Das ist offensichtlich, Kay. Schau doch mal genau hin!«
»Jungs, muss das sein? Das ist lächerlich.«
»Eugene, halt die Klappe! Das hier ist eine ernste Angelegenheit«
»Als ich das letzte Mal einen Schwanzvergleich gemacht habe, war ich fünfzehn Jahre alt. Ihr seid doch aus dem Alter raus ...«
»Stimmt, einen Schwanzvergleich brauchen wir nicht. Da würde man eh nur sehen, dass ich den Längeren habe.«
»Eugene, du weißt was zu tun ist.«
Handlung
Dylan und Kay standen mit den anderen Jungs unter der Dusche.
, behauptete Dylan.
, meinte Kay.

Dylan schaumierte sich die Haare.
Kay schrubbte sich den Bauch.
Eugene verdrehte die Augen.
, gab Dylan zurück.
Eugene schüttelte den Kopf.
Dylan grinste unheilvoll.
Kay packte Eugene an der Schulter und sah ihn entschlossen an.
Eugene seufzte total genervt und tigerte im Handtuch los.
Sind die Dialoge lebensnah und natürlich? Erkennt man die Emotionen, ohne den beschreibenden Text dazu zu lesen? Was ist mit der Handlung? Lässt sie sich ohne wörtliche Rede flüssig lesen?
Bei einem schnellen Schlagabtausch genügt der Dialog, doch in den meisten Szenen braucht man mehr. Mehr als die typischen Inquits (er sagte, er meinte, er fragte, …). Mehr als die typischen Mimiken und Gesten, die alle Autoren benutzen. Wobei jeder Autor seine Lieblingswörter hat. Bei einigen sind es Ausdrücke wie breit grinsen, leicht grinsen, fies grinsen oder genervt anschauen, grinsend anschauen oder überheblich anschauen. Beliebt sind auch Augen verdrehen/rollen, Kopf schütteln oder seufzen!
Dylan schaumierte sich die Haare. Kay schrubbte sich den Bauch. Eugene verdrehte die Augen. Dylan gab zurück. Eugene schüttelte den Kopf. Dylan grinste unheilvoll. Eugene seufzte total genervt – Damit habe ich Augen verdrehen, Kopf schütteln und grinsen abgedeckt. Fehlt nur noch, dass jemand die Augenbrauen hebt und mit den Achseln zuckt, dann hätte ich die Liste beisammen.


Normalerweise zerpflücke ich meine Texte nicht so extrem. Wenn ich aber von einer Szene nicht überzeugt bin, aber vor lauter Buchstaben ein Brett vor dem Kopf habe und völlig blockiert bin, gehe ich analytisch vor. Dann kommt die Vickie-Hardcore-Analyse. Manche Leute meinen, ich sei verrückt. Ich meine, ähm … ich mag Farben. 



Rot – Inquits oder irrelevante Handlungen
Gelb – Handlungen in der Szene
Grün – Informationen, die die Charaktere beschreiben oder den Plot vorantreiben. Gibt es keine grünen Stellen, ist die Szene nicht für den Plot relevant und sollte gestrichen werden (in einen Sammelordner für Ideen verschieben oder in Spin-offs benutzen).

  • Lest (bzw. kopiert den Text in eine neue Datei) nur die Dialoge. Machen sie Spaß beim Lesen? Haben sie Pep? Erkennt man anhand des Gesagten, wer spricht?
  • Lest nur die rot markierten Sätze. Sind sie wirklich notwendig? Können sie ersetzt werden, sodass sie zur Szene oder zum Plot beitragen? (rot → gelb)
  • Lest nur die gelb markierten Sätze. Ergeben sie einen angenehm lesbaren Text oder stolpert man beim Lesen? Vor allem: Erkennt man, wer die Perspektivfigur ist, also aus welcher Sicht die Szene geschrieben ist?
  • Sind die grün markierten Sätze geschickt in die Handlung eingebaut oder nur eine starre Auflistung?

Zurück zu unserer Duschszene.
Dylan und Kay standen mit den anderen Jungs unter der Dusche. »Ey, ich schwör dir, der ist länger!«, behauptete Dylan.
»Hör doch auf mit dem Quatsch!«, meinte Kay. »Ist doch scheißegal.«Dylan schaumierte sich die Haare. »Du bist doch nur neidisch, weil meiner länger ist als deiner.«
Kay schrubbte sich den Bauch»Ach wirklich? Denkst du?«
»Das ist offensichtlich, Kay. Schau doch mal genau hin!«
»Jungs, muss das sein?« Eugene verdrehte die Augen»Das ist lächerlich.«
»Gene, halt die Klappe! Das hier ist eine ernste Angelegenheit!«, gab Dylan zurück.
»Als ich das letzte Mal einen Schwanzvergleich gemacht habe, war ich fünfzehn Jahre alt.« Eugene schüttelte den Kopf. »Ihr seid doch aus dem Alter raus ...«
»Stimmt, einen Schwanzvergleich brauchen wir nicht.« Dylan grinste unheilvoll. »Da würde man eh nur sehen, dass ich den Längeren habe.«Kay packte Eugene an der Schulter und sah ihn entschlossen an. »Eugene, du weißt was zu tun ist.«
Eugene seufzte total genervt und tigerte im Handtuch los.

Daraus erkennen wir, dass sie typischen Gesten überhandnehmen. Wir wollen aber keinen Text, den jeder beliebige Schreiber für unsere Geschichte verfassen könnte, ohne die Charaktere und ohne den Plot zu kennen.


→ Geschwafel mit charaktertypischen, plotrelevanten Handlungen ersetzen. Persönlichen Stil einbringen.

Kay begab sich in die Gemeinschaftsdusche, als aus dem Dampf ein nackter Mann auf ihn zutrat. Dieses unverschämte Narbengesicht erkannte er selbst im Halbschlaf. »Hallo Dylan.«
Der Schwarzhaarige grüßte zurück und stellte seine Shampooflasche auf die Ablage, die Kay benutzen wollte. »Ey, ich schwör dir, der ist länger!«
»Hör auf mit dem Quatsch!« Energisch stieß Kay mit seinem Duschgel das fremde Shampoo zu Boden. »Ist doch scheißegal.«
Dylan gab vor, die Flasche aufzuheben, aber bückte sich, um seinen haarigen Hintern zu präsentieren. Danach benässte er seine Haare und schäumte sie sich ein. »Du bist doch nur neidisch, weil meiner länger ist.«
Den Bauch schrubbend, konzentrierte sich Kay darauf, sein Gegenüber zu ignorieren – ohne Erfolg.
»Schau doch mal genau hin!«, verlangte Dylan und präsentierte sein bestes Stück.
In diesem Moment lief Eugene an ihnen vorbei und musterte die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen. »Jungs, muss das sein? Das ist lächerlich.«
»Eugene, das ist eine ernste Angelegenheit!« Dylan hielt den dritten Mann am Arm fest und hinderte ihn, in Ruhe duschen zu können. Mit dem Kinn wies er auf Kays Genital und forderte Eugene wortlos auf, ein Urteil zu sprechen.
»Als ich das letzte Mal einen Schwanzvergleich gemacht habe, war ich fünfzehn.« Eugene riss sich los.
»Stimmt, einen Schwanzvergleich brauchen wir nicht.« Dylan grinste unheilvoll. »Da würde man eh nur sehen, dass ich den Längeren habe.«
Das warme Wasser über Kay versiegte. Er schlug mit der Faust gegen den Knopf, wobei er sich Dylans Fresse vorstellte. Dieser Typ nutzte jede freie Minute, um sich mit Kay zu vergleichen und vergaß dabei, dass Kay sein Vorgesetzter war. Am schlimmsten war aber, dass Dylan immer wieder versuchte, vor den anderen Männern Kays Autorität zu untergraben. Erneut hämmerte er auf den Knopf, obwohl das Wasser noch lief. Dylan, dieser Mistkerl, würde noch bereuen, sich mit ihm anlegen zu wollen.
Bevor Eugene sich verdrücken konnte, hielt Kay ihn an der Schulter fest und sah ihn entschlossen an. »Du weißt was zu tun ist.«

Wie sehen eure Texte aus? Wie geht ihr eure Dialoge an? Welche Bearbeitungsschritte habt ihr? Was fällt euch schwer und worauf seid ihr stolz? Habt ihr viel Dialog oder viel Handlung? Schleichen sich viele bedeutungslose Inquits oder wiederholende Handlungen ein (rot)?